An einem heißen Sommertag, auf einem großen Platz in irgendeiner Stadt in Europa ist etwas anders als sonst: Die Luft ist nicht so stickig, sie schmeckt nicht so blechern nach Staub und Abgasen. Die Luft ist überraschend frisch und riecht nach einem kleinen Hauch von Wald – obwohl kein Wald, nicht einmal ein kleiner Park und keine Wiese in der Umgebung zu finden sind. Die gute Luft stammt nämlich von einem sogenannten City Tree, einer mobilen, vertikalen, grünen Wand. Quasi: Eine um 90 Grad gedrehte, sehr platzsparende und sehr intensive Wiese.
Diese City Trees, die Erfindung eines Berliner Start-ups namens Green City Solutions, sind, wenn man es ganz genau nimmt, gar keine Wiesen, sondern Moosflächen, die aus dem Inneren der Stellwände heraus ständig gemessen und bei Bedarf bewässert werden. 30 Kilogramm Kohlendioxid soll jeder City Tree pro Jahr binden, ein beeindruckender Wert. Weshalb solche City Trees bereits in Oslo, Paris, Dresden und Hongkong aufgestellt wurden. Schließlich repräsentieren die City Trees die Vorstellungen von der Stadt der Zukunft beinahe optimal: Eine neue Technologie, die digitale Sensoren mit der Natur verknüpft und durch eine clevere Idee die Lebensqualität verbessert. Was könnte Smart Cities besser darstellen?
Philipp Bouteiller, Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH und damit Chef eines der ambitioniertesten Smart City Projekte Deutschlands, fallen darauf viele Antworten ein. Sehr viele.
Bouteiller muss es wissen. Denn die Planung der Nachnutzung des Flughafens Tegel, mit der das Land Berlin die Tegel Projekt GmbH beauftragt hat, macht aus dem Areal ein neues Stück Stadt. In Berlin TXL entstehen ein Forschungs- und Industriepark für urbane Technologien, die „Urban Tech Republic“, und ein neues Wohnquartier, das „Schumacher Quartier“. Für die Menschen, die hier künftig leben und arbeiten, wird es außerdem einen großen Park geben. Wichtigster Faktor dafür ist aber eben keine spezielle Technologie. Sondern eine Planung, die die städtebaulichen Fehler der 50er, 60er und 70er Jahre nicht wiederholen will. Und zudem den Ehrgeiz hat, für die kommenden 100 Jahre zu bauen. Und da sind Wände aus Moos zwar ein weithin sichtbarer und durchaus relevanter Bestandteil, wie Philipp Bouteiller sagt. Aber nur der Anfang.
Denn auch wenn für Berlin TXL Dächer voller Solarzellen, das schnellste offene WLAN der Stadt, sechs Meter breite Radwege für jede Fahrtrichtung und begrünte Dächer und Mooswände geplant sind, sind all diese Dinge nur Puzzleteile eines viel größeren, anspruchsvollen Bildes.
Dass beim Schlagwort „Smart Cities“ viele an neue Technologien und Produkte denken, ist allerdings kein Zufall: „Der Begriff Smart Cities“, sagt Bouteiller, „ist in sich nicht klar, wird inflationär benutzt und kommt aus der technologischen Diskussion. Er wurde ursprünglich von großen IT-Unternehmen erfunden, um Technologie an Städte zu verkaufen – und er hat seitdem eine gewisse Eigendynamik entwickelt.“ Was aber heißt Smart City, wenn es auch, aber nicht nur um Technologie geht? Sondern viel grundsätzlicher um Ideen und Pläne für die Städte der Zukunft?
Zunächst mal, erklärt Bouteiller, sei das Ziel längst nicht mehr nur, Städte smart zu machen – sie sollen, das sei ihm wichtig, auch sustainable, also nachhaltig, sein. „Smart Cities sind der Versuch, Natur und Stadt miteinander zu versöhnen. Dieser Versöhnungsprozess schlägt sich nieder in einer neuen Form von Stadtplanung, in der von vornherein über Nachhaltigkeit nachgedacht wird und in der Grünflächen viel stärker integriert werden“, sagt er.
Und das bedeutet vor allen Dingen, dass Quartiere, Wege und Gebäude mit einer gewissen Flexibilität geplant werden. „Auf nur eine Vorstellung der Zukunft hinzuplanen, schließt ganz viele andere Möglichkeiten aus“, sagt Bouteiller. Anders gesagt: Wer sich ein zu genaues und darum zu enges Bild der Zukunft macht, erhöht die Gefahr, daneben zu liegen. Und dann vollkommen an der Realität der Zukunft vorbeizuplanen.
Was aber ist sicher? Zunächst einmal, dass eben nichts sicher ist. Statt also für ganz konkrete Technologien zu planen, ist es smart, Optionen zu ermöglichen, die Veränderungen mitdenken. Zum Beispiel: Unter Straßen und in Gebäuden einen Kanal für Kabel und Infrastruktur zu schaffen, der begehbar ist und in dem noch Platz bleibt, falls neue Kabelsysteme verlegt werden müssen. Oder: Energiegewinnung auf Dächern mitzudenken, und die entsprechende Anbindung zu ermöglichen, ohne schon sagen zu können, ob die Dächer der Zukunft nun mit Photovoltaik, Windgewinnungssystemen oder ganz anderen Energiequellen bestückt werden sollen.
Und: simple Lösungen bevorzugen. Häuser nach Sonne und Wind auszurichten zum Beispiel, sagt Bouteiller, spart Energie und das dauerhaft. Für das Schumacher Quartier haben die Tegel Projekt GmbH und ihre Experten außerdem ein ebenso spezielles wie schlichtes Energiespeichermedium gefunden: Wasser. In einer 20 Grad und einer 40 Grad warmen Rundleitung kann Energie relativ unkompliziert, verlustfrei und ökonomisch klug gespeichert werden.
Und falls in den nächsten hundert Jahren ein besseres System erfunden wird? Sind die Wasserspeicher einfach zurückzubauen und hinterlassen keinen komplexen Schrott aus Verbundstoffen. „Wir haben gelernt, dass Technik um der Technik willen keine gute Idee ist“, sagt Bouteiller. Und: Jede Planung, jede Idee muss auch mitdenken, dass sie irgendwann überholt und veraltet sein wird und gegebenenfalls wieder abbaubar sein muss.
Aber nicht nur Bau, Wasser und Energie müssen neu gedacht werden, um eine Stadt smart zu machen. Die Frage, wie Mobilität organisiert wird, wie die Luft in den Städten besser und der Lautstärkepegel geringer wird, und die Menschen trotzdem ohne Einschränkungen weiterhin von A nach B kommen, ist heute schon eine der zentralen Diskussionen, wenn es um die Zukunft der Städte geht – welchen Platz bekommen Autos, welchen Parkplätze? Haben öffentliche Verkehrsmittel Vorrang – und wenn ja, in welcher Form? Wie viel Platz kann und sollte man Fahrrädern einräumen? Und wie organisiert man ein Städtebauverfahren, das einerseits Bürger und Politik demokratisch einbindet und mitnimmt – andererseits aber auch nicht zwischen den einzelnen Interessengruppen steckenbleibt und alles vom heutigen Status Quo aus denken will?
Das sind natürlich Fragen, die nicht allein für Berlin TXL wichtig sind und noch wichtiger werden. Auch wenn man sich rund um das Schumacher Quartier und die Urban Tech Republic sehr grundsätzlich und sehr selbstkritisch Gedanken gemacht hat, wie die Städte der Zukunft funktionieren könnten – und wie nicht – finden sich ähnlich Ansätze schon heute in Berlin, etwa bei der Bebauung des Gebietes rund um den Bahnhof Berlin-Südkreuz oder die Insel Gartenfeld, ein an Berlin TXL angrenzendes Areal eines ehemaligen Siemenswerkes, das derzeit auch geplant wird.
„Die Standardfrage an mich lautet: Wie sieht die Stadt der Zukunft aus?“, sagt Bouteiller und lacht. Bouteillers Antwort lautet nämlich: Schauen Sie aus dem Fenster. „Die gebaute Stadt wird sich gar nicht so sehr verändern“, sagt er. Aber die Art, wie wir in ihr leben, wie wir uns bewegen, welche Energiequellen wir nutzen und welche Entsorgungssysteme und welche Kabel und Verbindungen unter den Straßen verlegt werden – das wird sich drastisch ändern. Und die Stadt Stück für Stück smarter machen.